Yoga für Mutter und Kind

Lisa Becker

Meine Großmutter war eine der ersten Yogalehrerinnen in Deutschland. Spiritualität, Yoga und Meditation sind mir also quasi in die Wiege gelegt worden und haben mich durch so manche Höhen und Tiefen meines Lebens wegweisend begleitet.

In meinen zwanziger Jahren empfand ich mich auf einem guten spirituellen Weg, reiste auf der Suche nach dem Sinn des Lebens mehrere Jahre mit dem Rucksack durch Island und war mit meinem Selbstbild als abenteuerlustige, freie und wissensdurstige Schülerin des Lebens auf der Suche nach meinem wahren göttlichen Ich eigentlich recht zufrieden.

Der Sinn all meines bisherigen Tuns wurde allerdings komplett in Frage gestellt, als ich vor knapp 10 Jahren zum ersten Mal Mama geworden bin.

Als Mutter ist man rund um die Uhr auf sehr vielen Ebenen gefordert – natürlich gleichzeitig und selbstverständlich immer mit vollem Einsatz. Kinder, Beruf, Haushalt, Partner, Hund und Kater …, um alle soll Mama sich kümmern, alle auf einmal versorgen.

Vorbei die Zeit, als ich mich noch ungestört zur Meditation zurückziehen konnte. Vorbei die Zeit, als ich noch regelmäßig mehrmals täglich und in aller Ruhe meine Asanas praktizieren konnte. Ausgedehnte Spaziergänge, die Waldesruhe genießen und in der Stille der Natur Kraft schöpfen – das alles ist mir ein viel zu seltener Luxus geworden.

Bleibt nur ein wehmütiger Blick zurück? Hat mein Dasein als Mutter nun Yoga und Spiritualität aus meinem Leben verdrängt? Ist Meditation nicht mehr als eine blasse Erinnerung für mich geworden?

Keineswegs. Im Gegenteil. Seitdem ich eigene Kinder habe, habe ich endlich meine Gurus für mich gefunden. Es ist nicht nur das fokussierte Sein, die absolute Authentizität und das stete Verbundensein mit dem inneren Licht, das sie mir schon als Säuglinge in jeder Minute vorlebten. Es ist vor allem das Urvertrauen, das sie dem Leben entgegenbringen, die Neugier und die Lust, jeden Tag Neues zu entdecken und das Wissen darum, dass nichts unmöglich ist.

Das Lächeln über ihren festen Glauben an die Existenz von Superhelden und Zauberstäben fällt einem ganz schnell aus dem Gesicht, wenn man beobachtet, wie real diese Dinge im Spiel für Kinder sind. Und mal ehrlich: Wo ist der Unterschied zwischen Spiel und Wahrheit? Gibt es überhaupt eine absolute Wahrheit? Oder kommt es nicht immer nur auf den Blickwinkel an? Spielt nicht jeder von uns sein ganz eigenes bizarres Lebensspiel mit fragwürdigen Gesetzmäßigkeiten und ist längst blind geworden für andere Wahrheiten?

Bist Du noch offen für Wunder und das scheinbar Unmögliche? Und kannst Du die Magie des Lebens in jedem unscheinbaren Detail um Dich herum, in jedem deiner Atemzüge erkennen? Oder hat Dich der Alltag schon Deines Feenstabs beraubt?

Kannst Du das noch: Deiner Intuition absolut vertrauen?

Hast Du noch die Fähigkeit, jedem direkt ins Herz zu blicken und selbst bei Fremden mit einem einzigen Lächeln etwas schon viel zu lange brach gelegenes ins Schwingen bringen?

Mal ehrlich: was kann man einem solch perfekten Wesen wie einem Kind über Spiritualität noch beibringen? Was muss einem Kind, versunken in sein Spiel und die Welt um sich herum völlig vergessend, noch über Meditation gelehrt werden? – NICHTS.

Auf einmal erfüllt es mich völlig, zwei so phantastischen Lebewesen meine ganze Liebe und Kraft zu schenken. Aufräumen, Wickeln, Stillen, Putzen, Kochen – mein Alltag wird zu reinem Bhakti-Yoga: die Hingabe an etwas, das größer ist als man selbst. Der selbstlose Dienst am Göttlichen.

Meine beiden Mini-Yogis haben meine Lebensauffassung und meinen Fokus völlig neu ausgerichtet. Sie ermöglichen es mir täglich, meine persönlichen Grenzen neu kennenzulernen.

Welche Mama kennt das nicht: die Wohnung versinkt im Chaos, die Bügelwäsche wurde gleichmäßig übers Sofa verteilt und als Dach für die aus Esszimmerstühlen und Besenstielen errichtete Höhle verwendet … Mein Jüngster hat meinen Aquarellkasten gefunden und lebt seine Kreativität an Möbeln und Tapeten aus … und man sieht nur mehr einen Ausweg, um dem Wahnsinn zu entkommen: Selbsteinweisung in die Nervenheilanstalt oder ein freier Nachmittag mit Rundumpaket im nächstgelegenen Spa.

Auch die ausgeglichenste YogiMami wird zuverlässig immer wieder an ihr Belastbarkeitslimit getrieben. In immer kürzeren Abständen sehnst Du Dich nur mehr nach einem Ort der absoluten Ruhe, nach einer Quelle, an der Du Deine Energiespeicher dauerhaft aufladen kannst. Immer wieder, wann immer und so oft Du willst. Aber wo soll das sein?

Diese Frage ist sehr einfach zu beantworten: die Quelle trägst Du in Dir. Verbinde Dich wieder mit Deinem inneren Schatz, mit der Stille in Dir. Deiner göttlichen Essenz.

Yoga und Meditation geben Dir die Kraft, die Dinge gelassen, geduldig, entspannt und bewusst zu betrachten und anzugehen.

Körperlich ist Yoga für mich regelrecht zur Droge geworden. Egal ob Rückenschmerzen, verspannte Schultern oder das „Mir-tut-einfach-alles-so-weh“-Syndrom – ich kann nur jeder Mami empfehlen, Yoga zu machen. Das Universalmittel gegen alle Wehwehchen.

Ich nutze jede Gelegenheit, um Yoga zu praktizieren. Und ich kann mit Stolz sagen, dass ich mich inzwischen durchaus meisterlich darauf verstehe im JETZT zu leben und den Augenblick zu nutzen:

Mama trainiert ihre Sonnengruß-Variation in der Umkleidekabine, während die Zwerge sich in der Turnstunde austoben. Mama meditierend auf dem Esszimmerstuhl, während die Minis meinen Kleiderschrankinhalt neu sortieren. Mama Mantra singend beim Aufräumen und Staubsaugen – alles inzwischen Alltag für meine liebe Familie. Schließlich hat ja jeder hat so seine kleinen Eigenheiten.

Auch meine tägliche Yogapraxis zuhause übe ich weiterhin regelmäßig mehrmals täglich aus. Gut, es gibt hier und da kleine Veränderungen, wie das dem Leben nun mal so eigen ist: Inzwischen rolle ich völlig unbeeindruckt vom Gedudel des Bibi Blocksberg – Hörspiels zwischen Autospielteppich und umgekipptem Schulranzen meine Yogamatte aus. Die Baum-Asana performend, ganz in mir selbst versunken, kreuzt unser Hund auf der Flucht vor meinem Jüngsten mein Blickfeld. Meine Atemübungen praktiziere ich inzwischen mit Vorliebe auf der Sitzbank neben dem Sandkasten, während die Kinder auf dem Spielplatz rumturnen. Bei meiner morgendlichen Meditation tauchen meine To-Do-Liste für den Tag und der Einkaufszettel vor meinem inneren Auge auf. Bei der Übung zur Tiefenentspannung schlafe ich regelmäßig nach wenigen Minuten ein.

Aber hey, Spiritualität will gelebt und alltagstauglich sein. Und schließlich lernen die Kleinen ja auch durch intuitives Nachahmen. So versuche ich meine Standfestigkeit, Erdung und innere Balance bei Gleichgewichtsübungen zu finden, während zwischen meinen Kindern ein Wettstreit entbrennt, wer aus dem Schulterstand auf dem Wohnzimmertisch am halsbrecherischsten herunterfallen kann.

Aber neben allem Herumalbern stelle ich zwischendurch immer wieder beruhigt fest, dass Yoga nicht nur mir gut tut, sondern auch meine Kinder positiv beeinflusst. In unserem Alltag nutze ich jede Gelegenheit, sie in sich selbst zu stärken, ihre Aufmerksamkeit auf das Positive zu lenken, Schwierigkeiten als willkommene Herausforderungen zu sehen und mit Gelassenheit zu betrachten.

Und wenn ich dann sehe, wie sie die Verbindung zu sich und den Glauben an sich auch in kritischen Alltagssituationen behalten, bin ich beruhigt. So kann ich vertrauensvoll loslassen und weiß, sie sind fürs Leben gewappnet.

Meine persönliche Erfahrung wird schließlich auch von zahllosen wissenschaftlichen Studien belegt, die eindeutig die positiven Wirkungen des Yoga für Kinder bereits jüngsten Alters bestätigen. Yoga verbessert die Körper- und Sinneswahrnehmung ebenso wie die motorische und geistige Entwicklung. Angst und Aggressionen werden abgebaut, Selbstwertgefühl, Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein und Konzentration erhöht, was nicht zuletzt zu einer besseren Lernfähigkeit führt.

Kein Wunder, dass Yoga immer mehr Einzug in die Kitas und Schulen hält. Die Entwicklung hin zu einer immer differenzierteren Motorik ist schließlich auch ein wichtiger Teil der Hirnentwicklung des Menschen. Bewegungsmuster, die frühzeitig erlernt und verinnerlicht werden, bilden die Grundlage für das spätere logisch-abstrakte Denken.

Die Beachtung der Yamas und Niyamas (Regeln zum freundlich-konstruktiven Umgang mit sich und seiner Umwelt) verbessert zudem das Sozialverhalten.
Vor allem das Erlernen von Anspannung-Entspannung erschließt den Kindern ein universelles Mittel zum „Abschalten“ bzw. zum „Umschalten“. Sie können so lernen, ihre Befindlichkeit selbst zu steuern.

Ist diese Technik erst einmal verinnerlicht, wird sie – wie Schwimmen und Radfahren – nicht mehr verlernt. Eine unbezahlbare Fähigkeit in der heutigen hektischen Zeit.

Inzwischen sind meine Minigurus schon 9 und 6 Jahre alt. Wenn ich eines im Leben erreichen möchte, dann, dass sie weiterhin in voller Verbindung mit sich selbst bleiben und ihren eigenen Weg gehen, voller Urvertrauen und Freude. Damit nichts und niemand sie ins Wanken oder ins Zweifeln an sich selbst bringen kann. So werden sie die Welt mit ihrem Licht selbst ein wenig mehr erhellen und anderen eine Bereicherung sein.

Bleibt mir nur eines zu wünschen übrig: hätte ich selbst doch nur ein bisschen mehr von ihrer natürlichen Fähigkeit, so leichtfüßig durchs Leben zu tanzen.

 

Buch zum Thema:

Zoés Tagebuch: Die Suche nach dem inneren Schatz.

Autorinnen: Zoé Becker und Lisa Becker

ISBN: 978 374 127 9775

BoD Verlag.

Email-Kontakt: zoes-tagebuch@web.de