ROLF STANGENBERG
Erschienen im Lichtfokus-Magazin Nr. 47 / Herbst 2014
Gibt es einen Gott?
Wenn ja, wer hat ihn wirklich erfahren?
Gibt es dafür Beweise?
An wen oder was soll ich glauben?
Gibt es einen freien Willen, oder sind wir fremdbestimmt und alles ist Schicksal?
Jeder hat sich mit diesen Fragen schon mehr oder weniger beschäftigt. Und das hat einen Grund. Denn das Leben eines jeden Menschen birgt eine Reihe von Problemen und tragischen Momenten in sich, die solche Fragen aufwerfen und unabdingbar machen.
Glauben ist zutiefst menschlich. Jeder glaubt an irgendetwas, denn Glauben und Hoffen ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens auf dieser Erde, aber nicht jeder glaubt an Gott.
Die Theisten glauben an den einen Gott (Monotheismus) oder an viele Götter (Polytheismus). Die Atheisten bezweifeln die Existenz Gottes. Aber auch sie glauben, nämlich daran, dass es keinen Gott gibt. Jede Ideologie ist eine Form von Glauben. Ein Kommunist z. B. glaubt an den Kommunismus.
Wenn man jemanden danach fragt, warum er gerade seinem Glauben frönt, hat jeder eine Reihe von Argumenten an der Hand, die seiner Meinung nach seine Sichtweise bestätigen. Es handelt sich dabei jedoch lediglich um Meinungen. Man hat sich etwas zu eigen gemacht (das ist mein!). Solche Mein-ungen beruhen aber meist nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern nur auf meist wenig überprüften Überlieferungen. Und trotzdem bilden sich daraus sehr schnell feste Überzeugungen, die man dann mit aller Macht verteidigt, weil man sonst seine Existenz bedroht sieht. Der normale Mensch identifiziert sich nämlich mit dem, was er denkt und glaubt. Und wenn man ihm seinen Glauben nehmen will, wird er um ihn kämpfen und mit Klauen und Krallen verteidigen. Wir erleben dieses gerade wieder hautnah an den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Alle Kriege beruhen auf nichts anderem als entgegengesetzten Überzeugungen von Freund und Feind, die, wenn nicht anders möglich, auch mit Gewalt durchgesetzt werden sollen.
Weisen Menschen ist bewusst, dass diese Art von ideologischem Glauben nichts mit dem Glauben und schon gar nicht mit Gotteserfahrungen zu tun hat, von denen ein Jesus, ein Buddha, ein Krishna, ein Laotse, ein Sokrates oder andere Weisheitslehrer sprachen. Die meisten Menschen verwechseln häufig Glauben mit Wissen. Nicht zuletzt deshalb fragt ein Richter den Kläger oder den Angeklagten ja auch: »Glauben sie es, oder wissen Sie es?« Was jemand glaubt, ist für einen Richter nicht von Bedeutung. Nur was jemand weiß, zählt.
Fazit: Glauben ist nicht Wissen, und Wissen ist nicht Glauben. Wer glaubt, weiß nicht, und wer weiß, glaubt nicht!
Bis vor 500 Jahren hat man auch geglaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Und es dauerte zig Jahre, bis das Wissen eines Gallilei anerkannt wurde. Und es gibt schon seit dem letzten Jahrhundert eine Reihe von Wissenschaftlern, die auch das kopernikanische Weltbild aus nachvollziehbaren Beweisen wieder in Frage stellen. Sie zweifeln daran? Dann können Sie erkennen, wie schwer es uns fällt, neue Sichtweisen zu hinterfragen und anzunehmen. Eine fundierte Meinung zu haben, scheint vielen sehr wichtig zu sein, weil es Ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben scheint.
Ein Wissender dagegen definiert sich interessanterweise u. a. gerade dadurch, dass er keine Meinung hat. Wozu sollte er sie auch haben müssen? Einem Wissenden reicht, dass er weiß! Er muss nicht Recht haben. Er muss niemand davon überzeugen müssen, dass er weiß, was er weiß. Und das geht auch gar nicht. Denn die Basis seines Wissens ist reale Erfahrung. Wer diese ebenso gemacht hat wie er, braucht nicht mehr überzeugt zu werden. Wer diese noch nicht gemacht hat, kann sie auch nicht mit Hilfe von Worten nachvollziehen. Alles Reden, alle Worte sind vergebene »Liebesmüh«. Worte können lediglich auf etwas hinweisen. Der Finger, der auf den Mond zeigt, ist jedoch nicht der Mond!
»Sage mir, wie Salz schmeckt. Weißt Du es? Kannst Du beschreiben, wie Du Salz schmeckst und wahrnimmst.« Jemand antwortet darauf vielleicht: »Es ist weiß, fest und kristallin. Es besteht aus Natriumchlorid, seine chemische Formel lautet NaCl usw.« Doch, bevor man Salz nicht auf der Zunge gekostet hat, kennt man nicht seinen Geschmack. Was also tut Not? Dass wir einen Pickel nehmen und uns aufmachen zu den Salzadern!
Wir müssen unsere Erfahrungen selbst machen! Einen Menschen seine Erfahrungen nicht selbst machen zu lassen, ist für mich eine der schlimmsten Formen von Tyrannei! Man nimmt ihm nämlich die Chance, selbst zur Erkenntnis und Einsicht zu kommen und damit auch die Chance, zu wachsen und aufzublühen.
Wie nun können wir wissen, ob Gott existiert oder er nur ein weiteres Hirngespinst unseres Verstandes ist und daraus folgend auch die damit einhergehenden Religionen? Der Ausspruch von Karl Marx: »Religion ist Opium fürs Volk« hat in diesem Zusammenhang sicher seine Berechtigung. Denn solange Menschen leiden und sich als Opfer fühlen, werden sie nach einem Mittel suchen, das ihren Schmerz lindert. Und das ist im Normalfall eine Droge, weil sie einem verspricht, das Leid beenden zu können. In Wirklichkeit löst sie dieses Versprechen aber nie ein, sondern schiebt es immer in die Zukunft (nur die guten, artigen, gehorsamen, sich dem Staat anpassenden Menschen kommen nach ihrem Tod in den Himmel!). Durch eine Droge wird man seinen Schmerz nicht los, sondern betäubt ihn lediglich. Unser Verstand interpretiert dies aber fälschlicherweise als Auflösung des Schmerzes. Und damit werden wir zum Abhängigen unserer Droge. Die Droge zwingt uns ständig, sich mit ihr zu beschäftigen und über sie nachzudenken. Und genau das verwehrt uns den Zugang zu Gott. Denn eine Gotteserfahrung zu machen, ist unmöglich, solange wir denken und uns mit unserem Verstand, das heißt, mit unseren Gedanken, Überzeugungen, Vorstellungen, Konzepten usw., identifizieren. Somit ist die Religion, wie sie Karl Marx verstanden hat, ein todsicherer Weg, niemals in die Einheit mit Gott zu gelangen. Fast ein Paradoxon!
Eine ehemalige Klientin teilte mir einmal aus tiefster Verzweiflung mit, dass sie jeglichen Glauben an Gott verloren hätte, seitdem ein kleiner Junge in ihrem Dorf, der aufgrund seiner Einzigartigkeit und seiner Bescheidenheit von allen abgöttisch geliebt wurde, beim Spielen in einer Sandkuhle durch widrigste Umstände verschüttet wurde und starb. Ich teilte ihr daraufhin mit, dass ich das verstehe, aber gab ihr zu bedenken, dass sie genaugenommen nicht den Glauben an Gott verloren hätte, sondern lediglich den Glauben an ihre Vorstellung von Gott.
Das 2. Gebot drückt dies folgendermaßen aus: »Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.« Die Annäherung an Gott oder eine Gotteserfahrung lässt sich nicht begrifflich fassen. Im japanischen ZEN spricht man von einem Satori, einem zeitlich begrenzten, erleuchtungsähnlichen Bewusstheitszustand. Meist tritt dieser durch eine bedingungslose Hingabe an Das, was ist, ein. Nicht selten ist dies ein tiefer Schmerz, dem man sich widerstandslos ergibt. ZEN -Meister geben ihren Schülern gerne für den Verstand unlösbare Aufgaben, sogenannte Koans, damit der Verstand an ihnen zerbricht und aufgibt. Man sucht (Sucht) nicht mehr nach einem Ausweg, nicht mehr nach einer Droge, die den Schmerz betäubt. Dieser Zustand gleicht einem Schock, der einen alles vergessen lässt. Es gibt in diesem Moment weder Vergangenheit noch Zukunft. Also auch keinen Verstand mehr, der Zeit zum Denken und Analysieren braucht und damit zum Überleben. Der Zustand eines Satoris ist zeitlos.
Alles, was man in einem solchen Moment erfährt, ist vollkommen. Vollkommen neu, vollkommen anders als alles bisher Dagewesene. Man sieht, fühlt und hört in diesem Moment wie ein neugeborenes Kind. Rein und unschuldig. Deswegen sagte Jesus: »Werdet wie die Kinder!« Nur so können wir das Himmelreich schauen. Alles, was man in einem solchen Augenblick sieht, sieht man so, als hätte man es noch nie gesehen. Alles, was man hört, hört man so, als hätte man es noch nie gehört. Es gibt keinen Verstand mehr, der einordnen, vergleichen, bewerten oder verurteilen könnte. Man sieht Wolken, aber man weiß eben nicht, dass es Wolken sind. Man hört Schafe, aber man weiß eben nicht, dass es das Blöken von Schafen ist. Man riecht eine Sommerblume, aber man weiß eben nicht, dass es der Duft einer Sommerblume ist. Wozu auch??? Es ist der reinste Genuss. Intensivste Wahrnehmung, absolute Freiheit und Glückseligkeit. So habe ich es einmal auf Mallorca im Rahmen eines von mir geleiteten Seminars erfahren. Können Sie das verstehen? Nein! Entweder sie haben es erlebt oder nicht.
Wer ist man dann? Jedenfalls kein Mensch mehr mit Vergangenheit und individueller Persönlichkeit. Wenn, dann eher unpersönliches Sein, oder wie Eckhart Tolle es sagen würde: »Reines Gewahrsein«.
Die bedingungslose Hingabe an das Jetzt ist also ein Weg in die Einheit zu Gott. Aber es gibt natürlich viele Wege.
Letztlich ist das Leben selbst der Weg. Aber was heißt das? Es wird gesagt: »Alles ist Gott!« Wenn dem so ist, dann bin auch ich Gott. Dann sehe nicht ich, sondern Gott sieht durch mich. Dann atme nicht ich, sondern Gott atmet durch mich. Dann denke nicht ich, sondern Gott denkt durch mich. Dann nehme nicht ich wahr, sondern Gott durch mich. Jede meiner Bewegungen lenkt Gott, nicht ich. Jede meiner Handlungen sind Gottes Handlungen. Alles, was ich sehe, höre, fühle, ist Gott.
Aber es geht noch weiter. Alles, was ich an anderen mag und schätze, sind meine eigenen Qualitäten. Meine Stärken und Fähigkeiten, meine Talente und Begabungen. Alles, was mich an anderen stört, sind meine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Kein Mensch begegnet mir zufällig, keine Situation ist wichtiger und birgt mehr Antworten in sich als genau die, in der ich mich gerade befinde. Alles, was jemand an mir kritisiert, ist mehr oder weniger wahr. Jeder gibt mir durch das, was ich von ihm wahrnehme, die Möglichkeit, mich zu erfahren, mich zu erkennen. Alles ist perfekt. Wer will das sehen? Wer will diesen Weg gehen?
Wenn ich ihn gehe, bin ich verantwortlich für alles und gleichzeitig für nichts, da ja dann Gott für alles verantwortlich ist. Aber da ich Gott bin……. ??? Ein Mysterium! Genau dies gilt es zu studieren.
Da ich alles bin, weil ich Gott bin, kann es mich als individuelle Persönlichkeit, getrennt von Gott, nicht mehr geben. Mein Ego hat sich aufgelöst. Ich, als derzeitige getrennte Persönlichkeit, gibt es nicht mehr. Ich kann deshalb nichts mehr erreichen, ich kann mich nicht mehr mit Ruhm schmücken, ich kann nicht mehr besser sein als andere. Alle Kraft, alle Errungenschaften, alles Wissen, alle persönlichen Erfolge sind dann nicht mehr mein Verdienst. Denn alles wurde durch göttliche Eigenschaften und Kräfte bewerkstelligt. Wer das erfahren hat, wird dankbar und demütig. Er erkennt sein Leben als Gnade. Er ist angekommen in der Einheit mit Gott.
Wollen Sie das erfahren? Wollen Sie nicht länger nur darüber reden, sondern sie erfahren? Dann fragen Sie sich doch einmal, was ihr zurzeit größter Wunsch ist. Wollen Sie den realisiert sehen?
Dann nutzen Sie den Rest dieses Tages, indem Sie ihren Wunsch folgendermaßen zum Ausdruck bringen:
Sagen Sie mehrmals innerlich oder auch laut sprechend zu sich: »Mein Wunsch ……….(hier setzen sie bitte ihren Wunsch ein) wird jetzt in meinem Leben in aller Fülle und Vollkommenheit hervorkommen, weil es nicht mein Wunsch, sondern Gottes (sein) Wunsch ist und er deshalb alles tun wird, damit er sich schnell und perfekt verwirklicht«.
Es kann nicht anders sein, weil Gott uns nicht einen einzigen Wunsch geben würde (der ja auch wie alles andere von ihm kommt), wenn die Verwirklichung desselben nicht ebenso sein Anliegen wäre.
Dies ist ein mystisches Geheimnis!
Aber die Verwirklichung/Manifestation wird erst eintreten, wenn wir aus dem Bewusstsein leben, dass nicht wir, sondern Gott in uns der Handelnde ist. Buddha sagte: »Wir werden dem Rad von Geburt und Tod nicht entkommen, bevor wir nicht erkennen, dass wir nicht der Handelnde sind!«
Jesus sagte: »Nicht ich tue die Werke, sondern der Vater in mir.«
Eine zweite Übung, die ihnen ermöglicht, in die Einheit mit Gott einzutreten, ist folgende:
Setzen Sie sich vor einen Spiegel, und werden Sie sich gewahr, dass Sie in ihm nur eine Reflektion dessen wahrnehmen, für was Sie sich halten. Schauen Sie in Ihre Augen, und versuchen Sie die daraus scheinende Intelligenz wahrzunehmen. Ihr wahres Ich können Sie nicht wahrnehmen, da es göttlicher Geist ist, der alles sieht und um alles weiß. Versuchen Sie zu erkennen, dass diese Intelligenz Ihr Gemüt und ihre Seele ist und dessen Verstand sich wundert, was jetzt passiert.
Nun sprechen Sie langsam und deutlich jedes Wort zu dieser Intelligenz, die Sie aus den Augen im Spiegel erblicken: »Ich und Du sind überhaupt nicht voneinander getrennt. Ich bin nicht Dein Körper, Dein Gemüt oder Deine Seele. Ich bin Geist. Ich bin das, was dich beseelt, dich lebt, Deine Intelligenz, alles was Du bist und tust. Ich bin Dein wahres Selbst. Du bist nichts, weißt nichts, kannst nichts tun, es sei denn, dass ich Dich dazu bemächtige.«
Sagen Sie jetzt, was auch immer aus Ihrem Inneren gesagt werden möchte. Lassen Sie Ihre Worte von selbst fließen, ohne Anstrengung und ohne »persönliche Gedanken« Ihrerseits (denn Sie sind jetzt in einem unpersönlichen Bewusstheitszustand). Wenn Sie so fortfahren, werden Sie plötzlich wahrnehmen, dass Ihr Gemüt dem Gesagten folgt. Dass Sie auf einmal tiefe Wahrheiten wahrnehmen, die Sie vorher nicht wussten. Und dass das, was aus Ihnen spricht und um alle Dinge weiß, das Ich-Bin-Bewusstsein ist, Gott in Ihnen, Ihr wahres Selbst. Und das, was zuhört, ist das, was Sie früher dachten, dass Sie es wären, aber nur Ihr Verstand war, der sich vom göttlichen Bewusstsein getrennt glaubte. ✦