Das kosmische Orchester

Interview mit dem Herzchirurgen Priv. Doz. Dr. Reinhard Friedl

 

In seinem Buch „Der Takt des Lebens“ baut Dr. Friedl eine Brücke zwischen wissenschaftlich/medizinischen und spirituellen Aspekten des Themas „Sinnesorgan Herz“. Wir freuen uns, dass er bereit war uns einige Fragen zu beantworten, wiewohl er derzeit im Mittelamerika auf einem Kreuzfahrtschiff als Schiffsarzt arbeitet. Vielen Dank dafür.

 

Einleitung

Das Thema „Herz“ begleitete uns in allen vier Lichtfokus-Ausgaben des Jahres 2019. Mit Titelthemen wie: „Von Herzen“, „Leben aus dem Herzen“, „Die Sonne im Herzen“ versuchten wir in Bild und Text ein wenig dieser besonderen Herzstimmungen, der Herzqualitäten spürbar werden zu lassen. Wir sind nun gespannt wie ein erfahrener Herzchirurg an dieses Thema herangeht.

Wo sind wir – wo wollen wir hin?

Die Fragen für das Interview durften am Ostseestrand entstehen, wo wir uns, auf der Insel Rügen, eine kleine Auszeit gönnten.

Als Bergbewohner ist man nicht oft am Meer, diesmal war meine erste Assoziation, beim Anblick der Wellen:

alle Tropfen Wasser wollen letztlich zum Meer, aus kleinen und großen Bächen, Flüssen, Strömen, von überall fließt es zum Ziel. Manche bleiben hängen im Schmutz von Tümpeln, verdunsten dann doch, um wieder eine Chance zu erhalten.

Im Meer angekommen verlieren die Tropfen ihre Form, sie werden eins, werden zu Wellen im Meer.

 

Frage: Sind wir nicht wie diese Tropfen? Ein Ziel vor Augen, heimkommen, zum Ursprung gelangen, Gott erreichen, wieder in die Einheit. Wie gefällt Ihnen diese Analogie, Herr Friedl?

Ich glaube, dass in ihr eine tiefe Wahrheit beheimatet ist. Der Salzgehalt der Ozeane ist fast identisch mit dem unseres Blutes und ein biologisches Indiz dafür, dass wir aus dem Meer kommen. Aus dem Sternenstaub, der beim Urknall entsteht, kondensiert in einem Akt biologischer Schöpfung unser individuelles Leben. Einen riesigen Anteil daran hat das Wasserstoffatom, 90% des Universums und 63% des Menschen bestehen aus Wasserstoff. Aber nicht nur die organische Materie unseres leiblichen Körpers, sondern auch dessen Seele ist Teil eines Ozeans aus Bewusstsein. Wir Menschen sind ein für kurze Zeit sichtbarer, individueller Wassertropfen im Kreislauf allen Seins. Dann kehren wir wieder zurück. Die Verwurzelung in dieser Einheit verlieren wir auch während unseres Lebens nicht und in theistischen Traditionen wird diese spirituelle Erfahrung auch als Nähe zu Gott beschrieben.

In Ihrem Buch beschreiben Sie den Punkt, von dem aus der „coole“ Herzchirurg sein eigenes, mitfühlendes Herz entdeckt. Möchten Sie dies bitte erzählen?

Ich praktiziere seit vielen Jahren Meditation und Bewusstseinsarbeit. Dabei geht es immer wieder auch darum, mit dem Herzen zu fühlen. So entstand in mir natürlich die Frage, ist das überhaupt möglich? Das Herz ist in der Schulmedizin ja bekannt dafür, eine Pumpe zu sein und kein Sinnesorgan. Nach vielen tausend Herzoperationen und aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse steht für mich jedoch fest, das Herz ist viel mehr, als wir bisher dachten. Es ist ein Organ von Bewusstsein. Aber ich habe mich dem Herzen nicht nur intellektuell angenähert, sondern ich wollte selbst die unmittelbare Erfahrung machen, die wahre Natur meines eigenen Herzens erleben. Bei mir ging das nicht von heute auf Morgen, es brauchte viel Üben und auch Mut, der übrigens auch eine Herzensqualität ist. Über die Jahre gelang es mir jedoch immer besser, mein Herz weit zu machen und das Leben und viele meiner Patienten waren gute Lehrer.

„Das Herz lässt sich innerhalb einer halben Sekunde zur Entspannung verführen“. Möchten Sie dies bitte etwas näher erläutern?

Das Herz ist ein Organ, das seine Arbeit schon lange vor unserer Geburt aufnimmt, niemals eine Pause macht und während eines 75 jährigen Lebens rund 3 Milliarden mal schlägt. Es unterstützt und in allen Lebenslagen und macht niemals eine Pause. Keine von Menschen gemachte Technologie hat so eine gigantische Laufleistung je erreicht. Insbesondere muss unser Herz Energie sparen, wann immer es möglich ist. Dazu ist es in intimer Verbindung mit dem Gehirn und dem autonomen Nervensystem und reagiert extrem schnell auf Entspannungssignale des Vagusnerven. Bei eintreffenden Stresssignalen des sympathischen Nervensystems wartet es dagegen erstmal einige Sekunden, ob die Gefahr auch tatsächlich gegeben ist, oder ob es nur so aussieht. In einem gesunden Herzkreislauf-System wird der Herzschlag permanent schneller und langsamer. Misst man es ganz genau, ist die Zeit von einem Herzschlag zum nächsten niemals gleich, sondern variiert um bis zu mehrere hundert Millisekunden. Dieses Phänomen bezeichnen wir als Herzfrequenzvariabilität und sie ist ein Maß für die Schwingungen des autonomen Nervensystems und ein wahrer Jungbrunnen. Je ausgeprägter sie sind, umso flexibler kann das Herz reagieren. Und das hat weitreichende Auswirkungen. Wir werden widerstandsfähiger und können Krisen besser meistern. Erwiesenermaßen steigt die Lebenserwartung und die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen fällt.

Im Buch schreiben Sie, dass das Hören und Singen der Silbe OM Sie sehr beeindruckt. Beschreiben Sie bitte, wie sich Ihre Herzkurve veränderte, als das Herz das OM sang? Die Wirkungen von OM sind wissenschaftlich nachweisbar? Wie wirkt OM auf das Herz?

Unser Herzschlag und die Atmung liegen im Brustkorb sehr eng beieinander. Mit jeder bewussten, tiefen Einatmung legen sich die großen Flügel der Lungen um das Herz und drücken und massieren es ein bisschen. Herzen lieben das und der Herzschlag wird dann gleichmäßig schneller. Und mit jeder Ausatmung wird diese Umarmung lockerer und der Herzschlag allmählich wieder langsamer. Das Singen des Mantra OM geht einher mit einer langen Ausatmung und damit besonders intensiven Aktivierung des Vagusnerv. Das Resultat ist, dass die Herzfrequenzvariabilität eine schöne Wohlfühlkurve anzeigt. Wir werden dann ruhiger und können uns entspannen. Und im Gehirn werden Bereiche aktiv, die mit Mitgefühl und Empathie assoziiert sind. Dieser Zustand wird auch als Kohärenz bezeichnet, denn nicht nur Herz und Atmung, alle Organsysteme gehen miteinander in Resonanz und schwingen gemeinsam. OM ist ein heilender Klang für unseren Körper und unseren Geist.

Dem HeartMath Institut gelang es darzustellen, dass das Herz in verschiedenen Zuständen, Angst, Freude, Liebe, usw. verschiedene Schwingungsmuster aufweist. Was meinen Sie, wenn wir willentlich unser Herz z.B. in einen Zustand der kohärenten, bedingungslosen Liebe bringen könnten – wäre dies eventuell positiv für uns selbst und für unser Miteinander? Wie könnte man erlernen, in diesen kohärenten Zustand zu gelangen? Haben Sie Ideen für eine „Herzens-Schule“? Ein neues Unterrichtsfach in Schulen?

Das ist eine tolle Idee und wir sollten die gemeinsame Vision haben, dass es eines Tages so sein wird. Liebe ist eine universelle Kraft, deren grundlegendste Merkmale ein respektvoller, achtsamer und mitfühlender Umgang mit uns selbst, unseren Mitmenschen und der Natur sind. Für mich ist es sehr berührend, das gerade hier auf einem Kreuzfahrtschiff zu erleben, auf dem Menschen aus 45 Nationen zusammen leben, arbeiten und Urlaub machen. Herzensqualitäten wie Liebe und Mitgefühl sind uns angeboren, werden jedoch im Laufe eines Lebens bei fast allen Menschen von egoische Verstandesleistungen überschattet. Bewusstes Atmen, Innehalten, den Verstand ruhen lassen und -ganz wichtig- mit dem Herzen wahrnehmen sind die Zutaten, mit denen wir uns unserer wahren Natur wieder annähern können. Manche Menschen empfinden dabei das Biofeedback Gerät Heart Math, mit dem sich Kohärenz messen lässt, als sehr hilfreich. Und auch ich habe damit in meiner Praxis schon hartgesottene Technokraten überzeugt. Für weniger technikaffine Mitmenschen ist es aus meiner Erfahrung eher nichts, sie könne Kohärenz auch bei einem guten Lehrer lernen. Und damit können wir nicht früh genug anfangen. Deshalb arbeite ich gerade an einem Bilderbuch für Kinder, das sie anregen soll, mit der Wahrnehmung ihrer kleinen Herzen, die ja in Wahrheit oft viel großmütiger sind als bei Erwachsenen, zu spielen und zu experimentieren. Es wird voraussichtlich im Frühjahr 2021 erscheinen.

„Ich bin das Loch in einer Flöte, durch das der Atem Gottes bläst.“ Mystiker Hafiz.

Dieses Zitat fanden wir in Ihrem Buch. Was bedeutet Ihnen dieser Satz?

Er bedeutet, dass Materie in ihrem Innersten nicht Materie ist, sondern fließende Energie, und alles was lebt, atmet. Hafiz Wörter haben eine solide wissenschaftliche Grundlage. Die Atome, aus denen wir Menschen bestehen, können Sie in jeder Apotheke kaufen. Daran ist nichts Besonderes. Aber wie wird daraus etwas Lebendiges? Die Antwort ist, durch den Atem. Alles was lebt, atmet. Auch Pflanzen. Atmung ist immer ein Fluss, ein Austausch von Stoffen und Gasen mit unserer Umwelt. Durch sie sind wir mit allem Existierendem verbunden. Ohne Atmung hätten wir keine Stimme die klingt, kein Herz das schlägt und kein Gehirn das denkt. Atem schafft Leben und damit Bewusstsein, was manchmal auch als der Geist oder Spiritus bezeichnet wird. Die ursprünglichste Bedeutung von Spiritus ist jedoch – der Atem -. Wir können also keinen einzigen Atemzug tun, ohne spirituell zu sein.

 

Mit Demut den Herzschlag hören.

Wir waren heute mit unserem Hund, einem Malteser Rüden namens „Tommy“ in der Greifswalder Tierklinik. Am Tag vor unserer Abreise hatte unser Haustierarzt ein ungutes, hartes Herz-Geräusch vernommen, wir sollten doch bitte ein Herz-Ultraschall machen lassen. Im Urlaub konnten wir dies nun gut machen.

Unser kleiner Freund war sehr aufgeregt, Blutdruck und Puls messen, dann etwas rasieren für den Ultraschall, fremd und nicht ganz einfach für ihn. Der Arzt hörte sehr aufmerksam und lange mit seinem Stethoskop den kleinen Kerl ab, er hielt dabei ganz still. Nein, er könne keine ungesunden Herz-Geräusche feststellen, – ob wir selbst mal hören möchten.

Wir hörten zum ersten Mal das schlagende, kräftige Herz eines Lebewesens, meine Frau und mich erfüllte dies mit Dankbarkeit und Demut, ein magischer Moment.

Wie empfinden Sie diesen Moment des Abhörens eines Herzens? Spricht das Herz zu Ihnen?

Ich bin Herzchirurg und wenn ich mit dem Stehoskop auf das Herz höre, interessiert mich, ob dessen Töne rein sind, oder ob ich Töne und Geräusche höre, die eine Erkrankung vermuten lassen. Die Stimme seines Herzens kann nur der Mensch selbst hören, dem dieses Herz gehört, niemand sonst. Und das ist nicht nur eine Metapher. In unserem Gehirn können Wissenschaftler seit kurzem eindeutige Signale ableiten, die aus dem Herzen kommen. Und die beeinflussen unsere Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie, aber auch unser Sehvermögen. Für mich ist das eine wissenschaftliche Sensation, der kleine Prinz hatte recht: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Meine Aufgabe ist es, Menschen darin zu unterstützen, ihr Herz wieder als Sinnesorgan wahrzunehmen. Es ist die größtmögliche Intimität, die ein Mensch mit sich selbst haben kann. Und was ich dann höre, empfinde ich immer als sehr berührend und bewegend. Dann offenbaren sich oft auch die wahren Ursachen für viele Erkrankungen.

Wenn einige Herzen, in einem Zustand kohärenter, bedingungsloser Liebe, gleichermaßen schwingen – wären diese Herzen fähig aus den vielen kleinen Einzelschwingungen große Wellen zu erzeugen? Ähnlich wie das gemeiname Marschieren über eine Brücke im Gleichschritt, diese zum Einsturz bringen kann?

Viele Herzen können Großes bewirken. Für mich ist es ein Wunder, dass sich Herzen ganz verschiedener Menschen synchronisieren können. Sie schlagen dann wie ein Herz. Dieses Phänomen ist bereits im Mutterleib zu beobachten und Wissenschaftler nehmen an, dass in diesem Gleichklang nicht nur eine Kommunikation von Mutter und Kind stattfindet, sondern auch das besondere Bewusstsein der Mutter für das Wohlergehen des Kindes kodiert ist. Herzsynchronizität ist jedoch auch über große Distanzen nachweisbar und ohne Körperkontakt. Zum Beispiel wurde sie gemessen bei rituellen Feuerläufern und deren Angehörigen und Freunden in einem Stadion. Wir können unseren Herzschlag nicht willentlich beeinflussen, aber Herzen scheinen es zu spüren, wenn ihre Unterstützung gebraucht wird, dann verbinden sie sich und gehen in Resonanz. Man kann daraus schließen, die Amplituden vieler Herzen addieren sich zu einem kollektiven Herzen. Ob dann Brücken einstürzen, weiß ich nicht, aber die Kraft der Liebe hat schon Größeres bewirkt als nur das.

Das Herz ist das Organ für die Liebe, die schimmert immer wieder durch in Ihrem Buch. Und es ist sogar nachweisbar, dass gewisse Hormone die in dem Zusammenhang wirksam werden, auch im Herz gebildet werden. Können Sie Laien dies erklären?

Im Grunde ist es ganz einfach. Die Biochemie der Liebe hat einen prominenten Namen und der lautet Oxytocin: das Liebeshormon. Es beeinflusst unser Liebesleben und Paarbindungsverhalten auf vielfältige Weise. Dass es auch den ersten Herzschlag auslöst, den Urknall unseres individuellen Lebens, ist den wenigsten bekannt. Ganz am Anfang unseres Seins, kurz nach unserer Zeugung, bestehen wir aus undifferenzierten Stammzellen. Beträufelt man sie mit dem Liebeshormon, geschieht etwas geradezu Magisches: Sie verbinden sich, verwandeln sich in Herzmuskelzellen und fangen synchron an zu schlagen. Ist das nicht faszinierend? Das Herz und die Liebe sind seit dem ersten Herzschlag miteinander verbunden und bleiben es auch für den Rest ihres Lebens. Denn das Herz hat nicht nur Rezeptoren für Oxytocin, sondern kann es auch selbst herstellen. Die Liebe hält lebenslang ihre schützende Hand über das Herz und in Experimenten fallen sogar Infarkte kleiner aus, wenn Herzen zuvor mit Liebeshormon behandelt werden.

 

Priv. Doz. Dr. med. Reinhard Friedl
Herzchirurgie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Echokardiographie, Taucherarzt, Schiffsarzt
Telefon: 49 163 / 266 74 90
reinhard.friedl@herzzeit.de, www.herzzeit.de
Buch von Dr. Friedl: Der Takt des Lebens, Goldmann